Hoyschrecke 2005

Helmut Kohl hat mal gesagt: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Dieses oft und gern missdeutete Zitat hat jedoch einen unleugbaren Sinn: Da kann man sich noch so viel Mühe gegeben haben, noch so viel Zeit, Liebe und Schweiß in ein Projekt investiert haben: Wenn das Ergebnis nicht den Er­wartungen des Publikums entspricht, wird es verschmäht. Wenn es (schlimmer noch!) den Erwartungen der Kri­ti­ker nicht standhält, wird es gnadenlos verrissen, als Höchststrafe in ironischer Form. Was aber gar, wenn ein ausgewiesener Freund des Hauses diese kleine Bewertungs-Gehässigkeit zu Pro­tokoll gibt? Dann ist Feuer unterm Dach. So erging es der TAGEBLATT-Bewertung des vorjährigen Lieder­machertreffens, die hier (mit einem Nachsatz) wiedergegeben sei:

Gleich vorab, damit wir es hinter uns haben: Jeder, der sich mit irgendeinem Instrument auf eine Bühne stellt, musiziert und sein Lied singt, ist ein Held. Jeder. Und jeder, der am Freitag in der Kultur­Fabrik in Hoyerswerda die Bühne betrat, um sich beim 9. Lieder­macher­treffen «Hoy­Schrecke» mit seinesgleichen zu messen, hat Courage. Doch ist das alles? Oder besser: Reicht das schon?

Fangen wir noch einmal anders an. Renate Kolb und Ursula Trachsler sind wirklich extra aus der Schweiz nach Hoyers­werda gereist, um Folgendes zu erleben: Kurz nach 21 Uhr eröffnet das Duo «Stellmäcke» aus Pfaffroda den Liedermacherreigen; das Publikum verzeiht gönnerhaft das noch­malige Ansetzen zum ersten Lied. Ja ja, die Ersten. Da kann so etwas passieren. Die zwei Naturburschen aus dem Erzgebirge liedeln im Walzerschritt, auch ein Stück in «teutonisch moll» haben sie mitgebracht. Zwei Text­zeilen daraus: «Lied ohne Land, Land ohne Lied. Volk ohne Strand, ohne Glied» – Interessant ist die Konzertina, stellt auch Moderator Torsten Maxara im Nachhinein fest. Es geht weiter. Ebenfalls in Moll. Johanna Moll aus Erlangen schauspielert am Klavier. Irgend­etwas zwischen Vamp und Männerfresser, die Stimme ist herrlich. Hauchig. Roh. Alles abwechselnd, es geht «irgendwie» um Liebe. Doch das Wort «Klo», gesungen als langer, langer Ton, hört einfach nicht auf. Assoziationen sind unvermeidlich. 

Tosse aus der Nähe von Kiel treten auf. Die zwei singen. Einer hat einen Hut auf und drunter ist der große Weltschmerz. Die Musik liegt «irgendwo», mal wieder, zwischen Country und Schlager und die Zeile «Sag es noch mal» scheint nie enden zu wollen, wie auch – der Inhalt lässt es nicht zu. Dann leisere Töne. Judith Rössler aus Leipzig spielt fabelhaft Gitarre, sie hat den Soul. Sie erhält auch einen Platz vom Publikum nach allem.

Nun wird es wirklich lustig. Das erste Mal, dass das Publikum begeistert ist, nachdem der Liedermacher, in diesem Falle Sascha Gutzeit, seinen Gesang beendet hat. Der Wuppertaler parodiert am Klavier. «Ich zieh‘ alle Register und ihr an eurer Fluppe – ich bin die Vorgruppe», singt er und hat die Lacher auf seiner Seite. Er wird bejubelt. Letztlich erhält er nach Mitternacht den Publikumspreis. Dorle und Florian Schausbreitner aus Trier betreten nach ihm die Bühne. Das Ehepaar ist ungewöhnlich; kaum zu glauben, dass sie Musik machen, sie entsprechen so gar nicht dem Klischee. Beide hoch gewachsen, ordentlich gekleidet; Mühe geben sie sich, sind spürbar aufgeregt. Sie hat eine Stimme, ein wenig erinnert sie an Bonnie Tyler, jedenfalls eine «Röhre». Das Ehe­paar macht sich Gedanken über «supermoderne» Menschen und Träume.

Dann ist Pause. Sänger und Publikum atmen durch, auch die zwei Schweizer Frauen. Denn Ursula Trachsler kann sich nicht so recht konzentrieren, hat sie doch auf der Fahrt hierher ihre Handtasche in der Bahn vergessen. Die Heiltherapeutin erzählt: «Wir haben beide zufällig im Radio vom Liedermachertreffen gehört, wir machen selber Musik und freuen uns auf die Workshops am Sonnabend.»

Volkslieder spielen sie und gelegentlich einmal etwas Eigenes. Renate Kolb, die Psychomoto­rik­therapeutin, hat natürlich ihre Vorlieben. Nr. 7 jedenfalls gefiel ihr nicht. «Die Singvögel» aus Wuppertal haben nämlich nach der Pause derart laut und lang darüber philosophiert, was die «Ziege mit dem Bock» macht, die «Katze mit dem Kater» und so fort, dass es einige im Publikum nicht mehr hielt – Lachen erlaubt. So geht ein Liedermachertreffen lang­sam dem Ende entgegen. Bis kurz nach Mitternacht spielen und singen die Musikanten auf der Bühne. Zwischendrin tritt Jan Frisch auf, sichert sich den Liedermachersieg, auch der Textpreis geht an ihn. Die Jury hat beschlossen, dass seine Zeilen «auch ohne Melodie Bestand» haben…

Alle sind Helden. Jeder, der die Bühne nach den zwei Lie­dern verlässt. Doch auch das Publikum ver­dient ihn, den Heroenstatus. Weil es Hel­dentum anerkennt – und bis zum Ende bleibt.“

***

P.S. derselben Zeitung: Zugegeben – nett war das nicht. Aber wahr. Jedenfalls aus Sicht der Betrachterin. Und das ist ihr gu­tes Recht; genauso wie es das gute Recht ist, sich zu empören ob dieser einen (!) Stimme der Kritik. Denn die, die das Liedermachertreffen Jahr für Jahr ausrichten; die, die sich Jahr für Jahr dem Pu­blikum und der Kritik stellen – sie sind wirklich Helden. Ganz ehrlich. Und da­rum freuen wir uns nicht nur auf das Ju­beljahr 2006 mit der créme de la créme aller bisherigen Liedermachertreffen, sondern vor allem auf Num­mer elf, wo es wieder gilt, im Wettstreit zu bestehen. Punkt.

BESTER LIEDTEXT
Soldaten im Sand
Von Jan Frisch

Soldaten im Sand
Neben Eimer, Förmchen und Spaten
ein paar Sicherungen durchgebrannt
in unserem kleinen Kindergarten

So heiß brennt die Sonne drauf
lustig schmelzen die Kameraden
und wir nehmen es mal wieder in Kauf
die gibt’s doch in jedem Spielzeugladen

Soldaten im Sand
Fast wie die im Abendprogramm
Ha’m auch so ’n Helm und so’n Gewehr
und die bewegen sich auch nicht mehr

So heiß brennt die Sonne drauf
lustig schmelzen die Kameraden
und wir nehmen es mal wieder in Kauf
die gibt’s doch in jedem Spielzeugladen

Soldaten im Sand
und der Aufpasser ist fortgerannt
Ich glaub‘, es hat nie einen gegeben
Falls, war er nicht sehr lang am Leben

So heiß brannte die Sonne drauf
lustig schmolzen die Kameraden
und wir nehmen es noch einmal in Kauf
hoffentlich gibt’s noch den Spielzeugladen.