Hoyschrecke 2003

Aberglaube ist den KulturFabrikanten eher unbekannt, und so fürchtete man auch kaum die „Sieben“ vor dem diesmaligen Liedermachertreffen. Allerdings geschah dennoch etwas, was bisher für undenkbar gehalten worden war. Nämlich:Es gab nur zwei statt dreier Preisträger. Dass dennoch drei HoySchrecken aus Hoyerswerda entflatterten, hat seinen Grund im Bruch mit einem ungeschriebenen Gesetz der bisherigen Liedermachertreffen. Vom ersten Jahrgang an hatte gegolten:Zwei (oder gar drei) Preise für denselben Interpreten in einem Jahrgang – das gibt’s nicht! Wenn sich also beispielsweise herausstellte, dass die Jury den gleichen Favoriten für Text- oder Hauptpreis auserkoren hatte wie das Publikum für den seinigen, wurde nochmals nachberaten.

Denn nicht zu rütteln ist am Publikums-Preis! Daher überlegte dann die Jury, ob sie ihren in mühsamer Kleinarbeit gefundenen Text- oder Gesamtpreis-Kandidaten zur Nummer 1b machte. Also:Nicht ihn zurückstufen, sondern beim „Verfolger“ noch ein paar Stärken mehr herausfinden. So war es bisher stets gewesen – doch es gibt ja immer ein erstes Mal. Und im Falle „Doppel-Preisträger“ war dafür eben 2003 die Zeit gekommen. So geschah es also, dass Matthias Trommler mit der Publikums- und der Jury-HoySchrecke nach Hause, nach Radebeul, fuhr.

Was es sonst noch an Bemerkenswertem bei diesem siebten Liedermachertreffen gab, spiegelte sich so im TAGEBLATT:
Ein Magnet für Liedermacher aus der gesamten Bundesrepublik war auch die HoySchrecke 2003: Drei Tage volles Programm, prall gefüllt mit Konzerten, Workshops und Ausstellungen in der KulturFabrik Hoyerswerda begeisterten Teilnehmer und Gäste. Im Mittelpunkt des Geschehens standen natürlich die begehrten Auszeichnungen, die wie jedes Jahr in drei Kategorien vom KulturFabrik e.V., Profolk e.V. sowie dem TAGEBLATT an ambitionierte Songschreiber verliehen werden. Doch bereits die Chance, eigene Werke auf der Bühne zum Besten geben zu können, mussten sich die 34 Bewerber in der Vorrunde erst einmal verdienen. Die Vorjury musste überzeugt werden. In langen und hitzigen Diskussionen wurden die Einsendungen schwächerer Teilnehmer ausgesiebt und die endgültigen zwölf Anwärter auf die «Insekten» ermittelt.

Wahlweise mit Gitarre, Klavier oder Mundharmonika bewaffnet, stellten sich die Wettbewerber den kritischen Ohren von Publikum und Jury. Angetreten werden durfte solo oder im Duett. Den Startschuss gab der zweifache HoySchrecken-Gewinner Torsten Maxara, der später auch durch das weitere Programm führte. Sichtlich nervös, aber mit einer soliden Darbietung eröffnete Björn Tetz aus Berlin den Kampf um die prestigeträchtige Trophäe. Für zwei Songs gehörte die Bühne den jeweiligen Künstlern, so dass die Gäste ausreichend Zeit hatten, auf den zuvor verteilten Notizzetteln ihre Wertungen für Text, Musik und Gesamtauftreten zu vergeben. Nach vollbrachtem Werk hatten alle Anwesenden Gelegenheit, ihre Stimme ihrem jeweiligen Favoriten zukommen zu lassen und zu hoffen, dass vielleicht er den Publikumspreis mit nach Hause nehmen darf.

Bis dahin jedoch musste jeder Liedermacher, allein oder mit Unterstützung, den Saal für sich gewinnen. Ob nun wie Bernd Christen aus Leipzig mit makaberen Wortspielen und charismatischem Auftreten oder wie Dorle Schausbreitner (Trier) mit starker, aber leider einziger Frauenstimme – jeder hatte seine individuelle Strategie, die Kritiker auf seine Seite zu ziehen. Wie erwartet zeigten sich im Verlaufe des Abends auch zusehends die Tendenzen der derzeitigen Politisierung. Besonders Geralf Grems aus Dresden vermochte es in wortgewaltiger, teils vernichtender Symbolik, dem Publikum seine gegen die derzeitige US-Führung gerichteten Verbalattacken entgegenzuschleudern. Die hochexplosiven Allegorien spalteten bereits im vergangenen Jahr die Gemüter von Juroren und Gästen, genügten dieses Mal jedoch nicht, um einen der von Helge Niegel gestalteten Preise zu ergattern.

Hoffnungs-Hymne. Einen gleichermaßen bewegenden wie repräsentativen Beitrag leistete Oliver Ziegler aus München mit dem «Aschelied». Die hoffnungserfüllte Hymne an den freien Geist der Kunst und Dichtung aller Unterdrückung zum Trotz sicherte ihm den Textpreis. Mit Humor, swingender Klavierbegleitung und charmantem Auftreten versuchte dagegen Matthias Trommler aus Radebeul die Herzen der erheiterten Zuhörer zu erobern. Leicht verdaulich war auch sein Beitrag nicht, denn trotz amüsanter Vortragsweise setzte er ebenso inhaltlich Akzente und prangerte unter anderem die unaufhaltsame Kommerzialisierung des Lebens an. Damit war die schwierigste Entscheidung des Abends gefallen. Erstmals gelang es einem Liedermacher, gleich zwei goldene HoySchrecken einstecken zu können.
Sehr harmonisch sei die Jury 2003 gewesen, erklärte die prominente Preisrichterin Gisela Steineckert die seltene Einigkeit. Als ihre Kriterien für die Entscheidung nannte sie die Stimmigkeit aller Elemente: «Text, Musik und Interpretation müssen adäquat verbunden sein, damit ein guter Vortrag daraus wird. Natürlich ist auch die Originalität ausschlaggebend. Die Vor?bilder sollten nicht lauter zu hören sein als der Künstler selbst», so die Lyrikerin.

Doppel-Glückspilz Trommler indes übte sich in Bescheiden?heit: «Natürlich ist der Preis eine schöne Bestätigung, aber mir ist bei solchen Sachen auch wichtig zu sehen, was die anderen machen. Der Austausch der unterschiedlichsten Künstler steht hier im Vordergrund.» Bereits seit 1986 bringt der als Musiktherapeut tätige Liedermacher nun schon seine Gedanken zu Papier. «Andere schreiben ein Tagebuch und ich mache Musik.» 2001 konnte der charismatische Radebeuler schon einmal die Publikums-HoySchrecke für sich beanspruchen, was nun jedoch dazu führt, dass er mit insgesamt drei Auszeichnungen kein weiteres Mal am Wettstreit teilnehmen darf. «Schade, aber ich werde wieder nach Hoyerswerda kommen. Als Gast.»

BESTER LIEDTEXT
Das Aschelied
Von Oliver Ziegler

Zwischen kalte
Aschereste
kriecht Nebeldunkelheit
und Nacht.
Schwer wälzen
sich durch Großstadtgassen,
Stumpfheit, Ruß und
Todesmacht.

Legen sich auf Gassen,
Gärten, dringen in die
Häuser auch,
und dort wo dunkle
Feuer brannten, klebt
der Gestank von Angst,
von Rauch.

Selbst die Laternen
flackern schwach nur,
die Zeit lehnt bleich
im dumpfen Schein,
die Nacht hat sich zu
breit gemacht: Dies,
muss die Niederlage sein.

Über kalten
Ascheresten,
Nebeldunkelheit und Nacht,
schwebt eine klare Melodie,
sind Sinn und Worte
doch bewacht.

Ein Sinn, den keine
Flammen brennen,
der Macht und Stumpfheit sich
entzieht,
und so klingt über
Gassen, Gärten,
noch rußgeschwärzt,
doch stark ein Lied:
Wir sind so viele Dinge,
sind Leben oder Mut,
wir sind in allen
Dingen, im Meer und
in der Flut.

Uns schlucken keine
Brände,
wir sind noch
Möglichkeit,
die Dichter schlagen
uns aus Blöcken
ihrer massivsten Einsamkeit.

Sie finden uns in
allen Freuden,
in Mädchenhaar,
in Wein und Wind.
Wir werden nicht,
vergehen nicht:
Wir sind,
wir sind
und sind.