Hoyschrecke 2000
Wer einen großen Sprung tun will muss erst mal in die Hocke gehen. Aber Vergleiche hinken ja immer, und darum soll jetzt auch nicht weiter darüber spekuliert werden, ob auch nach einem großen Sprung ein Erholungs-Intermezzo vonnöten ist. Angemerkt sei nur, dass das Liedermachertreffen 2000 ein bisschen weniger Schwung als seine Vorgänger hatte; wenigstens was das Wertungsprogramm anbelangte. Aber eigentlich begann dieser Wiederaufschwung ja schon auf dem 2000er Treffen selbst – nämlich mit den grandiosen Auftritten von zwei Prominenten beim Gäste-Konzert: Hans-Eckardt Wenzel (Ost) und Manfred Maurenbrecher (West). TAGEBLATT sprach von einem „Jahrgang zum Atemholen“ – was auch meinte: Innehalten, um zuzuhören.
Einer Kleinkunst-Veranstaltung, die es ins vierte Jahr ununterbrochenen Bestehens schafft, sich wachsenden Publikums-Interesses erfreut und schon jetzt die nächste Auflage plant, darf man schon eine klitzekleine Tradition bescheinigen. Der KulturFabrik Hoyerswerda und ProFolk e.V. ist das mit dem Liedermachertreffen gelungen. Der Freitagabend ist wie alle Jahre dem Wertungskonzert vorbehalten: Die zwölf Bewerber, die es per Demo-Kassette durch einen ersten Vorausscheid geschafft haben, stellen sich mit je zwei Titeln vor – es geht um die Festival-Preise, die drei HoySchrecken – von Helge Niegel geschmiedete skurrile Metall-Tiere für den Publikums-Liebling, den Jury-Preis und den TAGEBLATT-Text-Preis.
Originelles in Noten und Versen war dabei weniger von gestandenen HoySchrecke-Kämpen (und Preisträgern) zu hören,sondern vor allem von zwei Liedermachertreffen-Neulingen: vom Eisenberger Wilfried Mengs – und von Matthias Trommler: Der junge Radebeuler Pianist beschrieb einen Cellisten, der stets nur einen einzigen Ton spielt (den das Publikum mitsingen durfte) – Begründung: Während alle anderen Musiker ihr Leben lang nach diesem einen, unvergleichlichen, vollkommenen Ton fahnden, habe er ihn gefunden. Wozu also noch weitersuchen? Die Choreographie hatte der (nunmehr) Hallenserin Heide Kernchen, Publikumsliebling 1999, den Auftritts-Platz Nr. 12, also den Schlusspunkt, zugewiesen. Sie setzte wie schon im Vorjahr auf Melodien, die von ihrer sehr eleganten, schlanken und klaren Stimme transportiert wurden, zu der auch die Texte passten: Besinnliches, Selbst-Reflexion; aber eben in diesem Zusammenspiel von Wort, Ton und Stimme durchaus ansprechend.
Das Publikum war sich relativ deutlich einig: Mit 47 Punkten landete Martin Sommer auf Platz 3; das Cottbuser Duo Garp (49) kam auf 2 ein – und mit 64 Punkten ließ das Auditorium keinen Zweifel daran, dass Matthias Trommler am ehesten den Nerv der KuFa-Besucher getroffen hatte. Beim Jury-Preis ging es so knapp wie noch nie zu – auch ein Ausdruck, dass der überragende Auftritt anno 2000 ausgeblieben war: Das vierköpfige Gremium (jedes Jury-Mitglied konnte jedem Teilnehmer maximal sieben Punkte zubilligen) schaute sich nach der Addition überrascht an: Gleich vier (!) Liedermacher fanden sich mit 24 Punkten auf den Wertungszetteln (Steffen Kockel -Potsdam-, Matthias Trommler, Martin Sommer und Heide Kernchen). Gerade mal einen Zähler mehr hatte der aus dem thüringischen Eisenberg stammende Wilfried Mengs bekommen – aber das war halt der entscheidende. Noch schwieriger wurde es beim TAGEBLATT-Textpreis. Schließlich einigte man sich einmütig auf Heide Kernchens «Maler».
Die Hoyschrecken gab’s aber erst am Samstag – vor dem Preisträgerkonzert, das, wie auch schon der Wertungsvortrag, vor sehr gut besetzten Stuhlreihen stattfand. Bei dem kamen auch die Profis zum Zuge, die mancher als Sahnehäubchen des Festivals unbedingt hatte hören wollen: Manfred Maurenbrecher und Hans-Eckart Wenzel. Wenzel (Ost) und Maurenbrecher (West) warfen sich die Themen zu, boten abwechselnd ihre Stücke dar, die sie meist noch mit Geschichten garnierten.
Maurenbrecher schilderte beispielsweise, wie man mit besonders obszönen Programm-Ankündigungen die Leute in Liederabende lockte, um dann doch nur immer wieder dasselbe zu spielen – hinter- und feinsinnig zugleich. Nicht minder ansprechend Wenzel, der die im nebligkalten November keimende Irgendwann-wieder-draußen-sitzen- und-Bier-trinken-können-Hoffnung als Triebstoff jeder deutschen Dichtung definierte. Maurenbrecher erwies sich als exzellenter Pianist, der seine brachialen Texte mit authentischem S-Fehler und in einer Lautstärke herüberbrüllte, die den wenig sittsamen oder bitterbösen Worten durchaus angemessen war – etwa, wenn er einen Selbstmörder in spé, der beim Sprung vom Kirchturm nur auf das (rettende) Trampolin eines Kinderfestes gestürzt war, ermuntert: «Gib‘ die Hoffnung nicht auf…»
Bewegendes gelang Wenzel, als er das Schicksal eines russischen Konzertpianisten beschrieb, der mit viel Hoffnungen nach Deutschland gekommen war – und nun sein Leben als bettelnder Akkordeonist auf der verschneiten Straße fristet. Wobei Wenzel sich nicht scheut, in die Haut eines vorübergehenden deutschen Klavierspielers zu schlüpfen, der sofort erkennt, dass der vor ihm Sitzende sein Instrument besser beherrscht, als er, der Deutsche, es je können wird. Und dem Bettler doch nichts in die Trinkgeldbüchse wirft. Weil ihm missfällt, dass der Virtuose sein Spiel gerade dann aufleben lässt, wenn er eine Spende erhalten hat: Denn ist es -wahrlich! – nicht schrecklich, dass nur Geld die Leute zu Höherem beflügelt? Wo es doch eine Unzahl noch viel besserer Gründe dafür gäbe?“
Von solch vielen besseren Gründen (wohlgemerkt in gutem Sinne!) waren die KuFa-Leute in puncto Liedermachertreffen „HoySchrecke“auch (nach) 2004 beseelt: Jahrs darauf sollte selbstverständlich eine Neu-Auflage folgen.
BESTER LIEDTEXT
Der Maler
Von Heide Kernchen
Ich finde deine Spuren
in der Sanduhr meiner Zeit.
Sie führen mich zu immer neuen Wegen.
Mich an dir zu begreifen,
dir nachzugeben,
dich leben das heißt Grenzenlosigkeit.
Du schenkst mir eine Welt
für mich/ ohne Geld
kann ich sie mir gestalten.
-der Dichter bin ich!-
Der Durst nach deinen Farben
ist längst noch nicht gestellt.
ich sauge sie auf,
wie Wüstensand den Regen.
Je mehr ich von die nehme,
je mehr hast du zu geben,
wie Wasser,
das aus seinem Ursprung quillt.
Du schenkst mir eine Welt
für mich/ ohne Geld
kann ich sie mir gestalten.
-der Maler bin ich!-
Ich male, ich singe,
ich schreibe und verteile
Spuren in die Unendlichkeit.
Ich male, ich singe,
ich schreibe und verweile
doch im Sanduhrglas meiner Zeit.
Ich finde deine Spuren
auf einem Blatt Papier.
Und Noten sind
die Pflaster meiner Wege.
Das Wort, nach dem ich greife,
der Ton, nach dem ich strebe,
verbirgt in sich ein Lebenselixier.
Du schenkst mir eine Welt
für mich/ ohne Geld
kann ich sie mir gestalten.
-der Sänger bin ich!-
Ich male, ich singe,
ich schreibe und verteile
Spuren in die Unendlichkeit.
Ich male, ich singe,
ich schreibe und verweile
doch im Sanduhrglas meiner Zeit.
Ich finde deine Spuren
auf einem Blatt Papier.
Und Noten sind
die Pflaster meiner Wege.
Das Wort, nach dem ich greife,
der Ton, nach dem ich strebe,
verbirgt in sich ein Lebenselixier.
Du schenkst mir eine Welt
für mich/ ohne Geld
kann ich sie mir gestalten.
-der Maler bin ich!-
-der Maler bin ich!-