Hoyschrecke 2001

Eine Hoyschrecke blieb hier. Es war eine der längsten Jury-Sitzungen, die es je bei einem Hoyerswerdaer Liedermachertreffen gegeben hatte, und sie endete mit knappen Entscheidungen: Der Jury-Preis ging an den Berliner Günther Hornberger, den TAGEBLATT-Textpreis bekamen Frank Oehl und Bodo Kuntermann (Hoyerswerda/ Cottbus) für ihr «Deutschlandlied». Zuvor hatten die KuFa-Besucher den Ex-Erfurter und jetzigen Darmstädter Martin Sommer (nun schon zum dritten Mal!) zum Publikumsliebling gekürt. Kurz vor Mitternacht hatten am Freitag die zwölf Final-Akteure je zwei Lieder vorgetragen und dabei zweierlei bestätigt: Hoyerswerda ist zur Ersten Adresse der Szene in Ost und West geworden – und es war gegenüber dem letzten Jahr eine deutliche Qualitätssteigerung erkennbar.

Glanzpunkte setzte zunächst Günther Hornberger mit einem bösen Zwischentext über Sauen, die es kaum erwarten können, ins Schlacht°©haus zu kommen, das sie für ein Nobel-Restaurant halten («oh – alle Kellner tragen hier Weiß…») und den Ton des Bolzenschussgerätes hinter der verschlossenen Tür («Päng – es gibt Champagner») genauso fehlinterpretieren wie das Quieken ihrer voran und dahin gegangenen Gefährtin. Otto Menner aus Blaubeuren (Schwaben) zelebrierte dann, unterstützt von Hans Wild, Mundart-Comedy pur («Gut drauf») und dann, solo, «Du werscht oild» – einer der ganz starken Auftritte des Abends. Eine schwere Hypothek für die, die danach auf die Bühne mussten. Aber Frank Oehl und Bodo Kuntermann zeigten die Kunst der Leichtigkeit: wunderschöne Gitarrenläufe á la «Blackbird», perfekte Verse, stimmige Bilder (besonders im «Deutschlandlied») – da war klar: Höchst preis-verdächtig!

Pittkunings, der sorbische Liederpoet, spielte einmal mehr in seiner eigenen Liga. Er brachte seinen ersten Text erst in Sorbisch, dann in Deutsch, dem Andenken Gerhard Gundermanns gewidmet, und legte Bitterbös-Wahres zur «Deutschen Tut-mir-leid-Kultur» nach. Wenig später: Finito! Stimmzettel-Auszählen, Punkte-Rechnen, heiße Diskussionen. Und weit nach Mitternacht standen die Preisträger der HoySchrecken, der von Helge Niegel geschaffenen Metall-Skulpturen, fest (siehe den gelben Kasten rechts oben).

Die Gala gab’s tags darauf: Dort legten zunächst die drei Preisträger noch einmal zu: Frank Oehl & Bodo Kuntermann entlockten ihren Instrumenten Brasilianisches («So tanz‘ doch Samba»), und nach dieser Hommage an Carlos Jobim gab’s eine wunderschöne Cover-Version: Keimzeits «Der Löwe» wurde zu «Der Kanzler», ein Beweis, wie man durch das Austauschen weniger Worte eine liebevolle Persiflage schaffen kann – keine Persiflage auf das Ursprungs-Lied, sondern auf Zeit-Geistiges. Auch der nun schon dreimalige Publikumsliebling Martin Sommer zog ein extra feines Lied aus dem Zylinder: Warum zwei sich nicht einfach zusammenfinden und ein normales Durchschnitts°©leben führen können, sondern stattdessen alles aus- und kaputtreden müssen… Nach Jury-Preisträger Günther Hornber°©ger durften die Star-Gäste ‚ran: Gina Pietsch begeisterte mit eigenwilligen Weill-Interpretationen, Stefan Krawczyk brillierte am Bandoneon, etwa beim sehr schönen «Man muss schon Schnaps getrunken haben» im Stile Brechts und Villons.

Wer danach nicht vom Großen Saal in die kleine bühne des Hauses wanderte, verpasste das Beste: Jens-Paul Wollenberg. Der Wahl-Leipziger ist für mich seit Jahren der Ausnahmekönner unter den Klein°©künstlern. Er spricht und singt seine Texte nicht, er lebt sie aus. Morbides, Zärtliches, Bösartiges, Verzweifeltes, Skurriles, Trau°©riges, Berührendes, oft nur getrennt durch halbe Sekunden und doch eine einzige große Harmonie; zusammengehalten auch durch das großartige Bajan- (Bass-Ak°©kordeon-) Spiel von Valeri Funkner – solch bittersüße Melange kann nur Wollenberg brauen; das gaben auch die gestandenen Kollegen gerne zu. Wollenberg wütet sich durch Verse und Gefühle, schrillt, grunzt, röchelt, fistelt, grollt, stöhnt, knödelt, tremoliert, rollt, flüstert, zischelt.

Er diktiert, deklamiert, proklamiert, zitiert. Er haucht Stücken wie Brechts Ballade von den Seeräubern neues Leben ein; schmeckt mit scheinheiligem Mitleid die Fabel vom Kleinwüchsigen ab, der zu scheu war, die Fee um ein paar Zentimeter mehr zu bitten, und sich nun vor Wut die Fußnägel abkaut («versetzen Sie sich, liebes Publikum, in das Tiefste dieses Stückes – und Ihnen wird übel…»). Wollenberg schwärmt balladesk für das Brudervolk der Ratten; geniert sich nicht, gänzlich unsentimental einen versoffen-verkommenen Obdachlosen zu geben, der die Jägermeister-Pulle zärtlich liebkost und im selben Atemzug den Schöpfer beschimpft. Er versichert scheinheilig bei schroffen (aber nie peinlichen) Zoten, es handele sich, bitte, um politische Lieder! Er bekennt, zu faul zum Schreiben situationsnaher Zeitgeist-Kommentare zu sein – aber nur, um sofort im Diskant den deutschen Kriegseinsatz maßzunehmen: «Mörder sind keine Soldaten/ aber wenn sie schießen, kann man ganz schön totgeraten». Eigentlich kann man Wollenberg gar nicht schildern, weil sich ein Genie der Beschreibung entzieht…“
Dem ist auch aus heutiger Sicht wenig hinzuzufügen. Möge Wollenberg bald wieder den Weg nach Hoyerswerda finden!

BESTER LIEDTEXT
Deutschlandlied

Von Frank Oehl

Im Osten geht die Sonne auf
Im Süden hält sie Mittagslauf
Im Westen muss sie untergehn
Im Norden ist sie nie zu sehn
Sie kennt uns nicht
Und nimmt uns doch in Kauf.

Sie bescheint zuerst den Neißestrand
Wo jüngst man einen Fremden fand
Mit Hämatomen im Gesicht
Ein Lebenszeichen fand sich nicht
Und auch kein Hinweis
Auf sein Herkunftsland.
Danach macht sie das Elbtal wach
Kriecht übers grüne Zwingerdach
Wer Arbeit hat, hetzt grad vorbei
Den andern ist es einerlei
Ein Ex-Cellist hängt
Alten Hymnen nach.
An der Saale Burgen, kühn
Durch die schon manches Mondlicht schien
Küsst jetzt die liebe Sonne zart
Wie zwischen Schlachten Bonaparte
Dein süßes Näschen
Kleine Josephine.

Dann strömt sie auf die Werra zu
Löst Nebelschwaden auf im Nu
Wo einst verzweifelter Kommiss
Den Schlagbaum eilig niederriss
Ein Liebespaar springt
Taumelnd in die Schuh.
Die Fulda fließt schon immer hin
Macht noch als Rattenfalle Sinn
Wenn Weser-weit die Sonne scheint
Falls irgendwo ein Baby greint
Wird`s abgestillt
im Morgenmagazin.
Danach kommt man bei Sieg und Lahn
In einer blühend Landschaft an
Die Rubensfrau in adidas
Sinkt willig ins noch feuchte Gras
Am Center-Court zerfällt Ihr
Pfundskur-Plan.

Jetzt taucht der Rhein ins erste Licht
Ein Prinz find seinen Kappen nicht
Im Ex-Kanzleramt ist noch Betrieb
Der Chefkoch in Bereitschaft blieb
Er übernimmt die
Hundert-Jahre-Schicht.
Durch Bad Aachen windet sich die Wurm
Die Sonne grüßt den Langen Turm
Am Schulhof-Drogen-Umschlagplatz
Verzappelt sich ein trunkner Spatz
Die Krönungswetterfahne
Dreht auf Sturm.

Die Sonne ging im Osten auf
Im Süden hält sie Mittagslauf
Im Norden ist sie nie zu sehen
Im Westen wird sie untergehn
Sie kennt uns nicht
Und nimmt uns doch in Kauf.