Hoyschrecke 2004

In schweren Zeiten will das Publikum nicht noch mit Liedern von Weltschmerz zermürbt werden. Da ist Unterhaltung angesagt. Je mehr ein Song von den Problemen der Zeit ablenkt, je unbeschwerter er ist, umso besser kommt er an. Dieses ungeschriebene Gesetz hat sich beim Wertungskonzert zur achten Hoyschrecke bestätigt: Alle drei Preisträger traten mit eher unbekümmerten Songs an.

Jurypreisträger Klaus-André Eickhoff aus Aachen spielte sich mit einem inhaltlich eher dünnen Song in die Jurorenherzen. Sein Dank an die kleinen Dinge des Lebens – etwa den Rest Milch im Kühlschrank oder dass er sich sein Frühstücksei nicht selber legen muss – brachte ordentlich Punkte. Im zweiten Song, dem «Schweinetango», griff er einen thematischen Evergreen auf: Je reicher die Menschen sind, umso unzufriedener werden sie. Dass Klaus-André Eickhoff am Ende den Jurypreis mit nach Hause nehmen konnte, hatte er vor allem seinen spielerischen Qualitäten zu verdanken. Als einer der zwei Pianisten des Abends stellte er sein Können am Klavier eindrucksvoll unter Beweis. Was auch kein Wunder ist, denn im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen kann er hauptberuflich Musiker sein. Seit knapp fünf Jahren tingelt der 32-Jährige als Solist durch die Lande und hat bereits mehrere Preise abgeräumt. «Es gibt leider wenige Möglich­keiten, an solchen Wettbewerben wir hier in Hoyerswerda teilzunehmen», erzählt der studierte Publizist. Über Musiker­freunde hatte er von der HoySchrecke gehört und sich beworben.

Ahnliche Gründe führten auch Judith Rössler aus Leipzig nach Hoyerswerda. Die 28-Jährige lag am Ende mit dem Jurypreisträger auf Platz eins. Da sie aber auch in der Publikums­wertung die Nase vorn hatte, wurde ihr der unter Musikern vielleicht wichtigere Sieg, der Publikums-Preis, zuteil. Im «Kaffeesong» überzeugte die passionierte Teetrinkerin auf ihrem Instrument. Und sie hat bewiesen, dass man Liebes­lieder auch durchaus mit einem Augen­zwinkern schrei­ben kann.

Ganz untypisch für einen Liedermacher – dem Klischee zufolge – ist sicherlich auch Ralph Schüller aus Leipzig. Er nahm 2004 zum zweiten Mal Anlauf auf die HoySchrecke und konnte sich über den TAGEBLATT-Textpreis freuen. Dass unter seinem mit einem großen grünen Hanfblatt bedrucktem T-Shirt so viel Lyrik steckt, hätte im ersten Moment wahrscheinlich keiner vermutet. Doch Textzeilen wie «Wach‘ auf, wach‘ ein und bleib‘, bis der Morgen kommt und uns an alle verrät” waren der Jury den Text-Sonderpreis wert.
Die achte Auflage der HoySchrecke zeigte vor allem: Das Hoyerswerdaer Lieder­machertreffen ist ein bundesweites Ereig­nis der Szene. Die zwölf Nominierten (aus 34 Bewerbern) kamen unter anderem aus Kiel, Hamburg, Saarbrücken und natürlich Berlin. Dass sich das Hoyerswerdaer Duo Hösch mit starken Texten, einem stimmgewaltigen Matthias Höll und einem exzellenten Gitarristen Jens Scholze sowohl beim Publikumspreis als auch beim Textpreis auf Platz zwei wiederfand, spricht für die Qualität. Und dürfte ihre Fans auf weitere Auftritte hoffen lassen.“

ZWISCHENSPIEL
Das war er also, der Jahrgang Numero acht. Ausblicke und Einblicke hier in einem gekürzten Interview mit Reinhard „Pfeffi“ Ständer.

Liedermachertreffen klingt nach heile Welt. Ist die Musik noch zeitgemäß?
Das denke ich schon. Es ist erstaunlich, wie viele Liedermacher es gibt, aber auch, dass sie in den Medien kaum eine Rolle spielen. Offensichtlich ist diese Art von Musik nicht erwünscht. Aber wir, die Veranstalter von der KulturFabrik, sind der Meinung, dass Liedermacher noch immer viel zu sagen haben.

Sie sind von Anfang an dabei. Haben sich die Lieder der Liedermacher verändert?
Da hat sich schon manches gewandelt. Zu DDR-Zeiten und auch während der Wende wurde sehr kritisch getextet. Die Musiker haben Missstände angesprochen. Heute gibt es viele belanglose Liebeslieder, es geht um Befindlichkeiten. Manche kritisieren hier auch schon den Übergang zum seichten Pop. Wir haben aber sehr interessante Gäste, mit spannenden Texten und Musik.

Welchen Stellenwert haben das Lieder­machertreffen und der eingebundene Wettbewerb?
Es ist vermutlich das größte Treffen dieser Art in Deutschland überhaupt. Eine Ver­an­staltung in der Kombination Work­shop, Wettbewerb, Konzerte, Austausch zwischen Musikern gibt es so wohl nicht noch mal. Auch der Preis, die Hoy­Schre­cke, scheint von Bedeutung zu sein. Viele Preisträger werben jedenfalls damit.

BESTER LIEDTEXT
Wach‘ auf, wach‘ ein…
Von Ralph Schüller

Nur du und ich und zwanzig Sterne über uns
Die Nacht ist warm und lang wie nie.
Das Gras ist weich, ich fass‘ dich gerne an
Doch du sagst mir nicht wie.
Wach‘ auf, wach‘ ein und bleib
Bis der Morgen kommt und uns alle verrät
Wach‘ auf, wach ein, und vergiss‘
Wie die Zeit vergeht
Eine Hand in einer Hand, so viel Finger, Wärme, Freude
Wir schwärmen aus, das Land ist weit
Die Herzen aufgeschlagen in immergutes Wetter
Zu jeder Tat bereit.
Wenn du dich drehst, steht der Himmel wie ein Haus
Stoppt die Erde unter deinem Fuß
Wolkenschöne Heimat, Kleinstadtlichter in der Ferne
Und ich freu‘ mich, dass ich nicht nach Hause muss.
Wach‘ auf, wach‘ ein und bleib’…
Hier bist du und ich, so viel Sommer deine Haut
Wir staunen in den Mond und er staunt zurück
Einen Gruß an alle Lieben, die zu Haus geblieben
Nichts ahnend von unserem Glück.
Hier ist nichts zu hören, außer unbekannte Tiere
Und ein Wind, der ihren Schatten trägt
Als hätten wir schon immer hier gesessen und gelauscht
Was die Welt vom Grunde auf bewegt.

Wach‘ auf, wach‘ ein und bleib…